Welche Bedeutung spielt die Organisationsentwicklung im Rahmen der Unternehmensentwicklung?
„Alles verlief nach Plan, nur der Plan war halt Mist.“
Darin liegt das Dilemma jeder Planung. Zeigt er sich nicht als beweglich und leicht veränderbar, wird das Ergebnis so gut sein wie der Plan. Organisationen haben die Neigung zu Erstarren oder zum Chaotisieren. Die Organisationsentwicklung ist ein wichtiger Prozess in der Unternehmensentwicklung. Immer wieder beobachten und analysieren, in welchen Zuständen sich die Organisation befindet, gehört zu ihren fortwährenden Aufgaben. Passende und maßgebliche Impulse geben, damit sie in den richtigen Bahnen verläuft, sich weiter entwickelt und nicht stehen bleibt.
Dieser Beitrag legt dar, welche Bedeutung die Organisationsentwicklung für die Unternehmensentwicklung hat und welche Methoden sinnvoll sind.
AUF NEUES EINLASSEN, ALTES LOSLASSEN
In jedem Anfang wohnt ein Zauber inne und nahezu jeder Anfang beginnt dort, wo etwas endet. Um sich auf etwas Neues einzulassen, trennen Sie sich besser erst von Althergebrachtem und Überflüssigem (nicht gleichzusetzen mit Rauswurf von Mitarbeitenden). Klären Sie, was losgelassen werden kann und muss. Unsere inneren Widerstände richten sich nicht gegen die Veränderungen selbst, sondern gegen die möglichen Verluste, die wir fürchten. Hindernisse sind die Neigung der Menschen in Unternehmen, unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen oder vor komplexen Problemlagen zu kapitulieren.
Der große Feind alles Neuen ist die menschliche Neigung zur vorschnellen Anpassung oder Verharrung. Die wenigsten wollen gerne gewohnte Regeln und Normen ändern. Dennoch findet das Neue stets Mittel und Wege und sei es durch die Ineffizienz oder Dummheit seiner Gegner.
Neues und neue Wege bedürfen kreativer Individuen. Mitarbeitende, die über den Tellerrand hinaussehen können und visionsfähig sind. Neues wird selten aus Altem geboren, sondern entsteht aus der Fähigkeit, sich ins Ungewisse zu begeben und kreative Antworten auf gestellte Fragen und Aufgaben zu finden.
HUMANE ANALOGIE UND UNTERNEHMENSKULTUR
In dem Wort Organisation ist der Begriff Organ enthalten. Menschliche Organe haben bestimmte Aufgaben. Jedes einzelne Organ hat seine Aufgabe und Funktion. Jedoch ist das Zusammenspiel der Organe ebenso wesentlich, sogar maßgeblich. Organe können auch in Systemen wahrgenommen werden: Das Nerven-Sinnes System mit Kopf und Sinnesorganen wie Auge oder Gehör. Das mittlere oder rhythmische System mit zentralen Organen wie Herz und Lunge. Das Stoffwechsel-Gliedmaßen System mit Verdauungsorganen und unseren Gliedmaßen.
Die Organe fügen sich in ein Organsystem. Jedes Organ erfüllt seine Aufgabe im Zusammenspiel mit den anderen. Gerät ein Organ oder mehrere in Dysfunktion, bleibt es nicht aus, dass andere oder gar das ganze System in Mitleidenschaft gezogen wird. Bestimmte Aufgaben können nicht von anderen Organen übernommen werden.
FUNKTIONEN UND MITARBEITENDE
Mitarbeitende übernehmen Funktionen oder Rollen, im Prinzip entsprechend ihrer Aufgaben und ihren Fähigkeiten. Zu ihnen zählen auch die Führungskräfte. Jede Rolle ist mit Erwartungen verknüpft. Eine klare Trennung von Organisation und Individuum kann sie und die Mitarbeitenden vor unsinnigen Konflikten schützen. Konflikte haben ihre Ursache oftmals nicht in charakterlichen Eigenschaften der Individuen. Organisationen und Führungskräfte suchen Fehler gerne bei Einzelnen und nicht in der Organisationsstruktur selbst.
ZUSAMMENARBEIT UND KOLLABORATION ALS UNTERNEHMENSKULTUR
Dieser Analogie der menschlichen Organe folgend gibt es in einem Unternehmen verschiedene Organe wie Abteilungen, Teams, Unternehmensbereiche, die sehr unterschiedliche Funktionen und Aufgaben haben. Jedoch wird diese umso erfolgreicher sein, wenn die Zusammenarbeit oder Kollaboration auch als Unternehmenskultur gelebt wird. Insofern kann sie nur so gesund sein, wie es ihre Organe in ihrem Zusammenwirken sind. Diese Analogie ist hilfreich, um Ihre Unternehmensorganisation von einer anderen Warte aus anzuschauen. Unternehmenskultur wächst und gedeiht mit einer dem Unternehmen entsprechenden Organisation und Führung.
LERNENDE ORGANISATIONEN
Das Wissen von Organisationen steckt hauptsächlich in den Menschen, den Mitarbeitern; eine alte Weisheit. Der alleinige Blick auf die Effizienz reicht nicht aus. Die Vorstellung, organisationelles Lernen ließe sich rein instrumental betreiben, greift zu kurz. Lernunfähige Unternehmen sind dem Niedergang geweiht. Eine lernende Organisation erhöht die Anpassungsfähigkeit, sich auf verändernde Umstände einzustellen. Eine Grundannahme ist, dass nicht nur Individuen, sondern auch Organisationen und ihre Glieder lernfähig sind. Wie können sie also intelligenter werden? Reflektiertes Lernen geschieht dort, wo man aus Beobachtungen Schlüsse zieht und Erwartungen und Handlungen anpasst.
ORGANISATIONSSTRUKTUR
Sie gilt als dysfunktional, wenn Konflikte am falschen Ort ausgetragen werden. Dennoch werden Einzelne gerne verantwortlich gemacht. Die Mitarbeitenden sollen sich bitte anpassen und nicht die Institution. Die Aufgabe der Führungskräfte ist es jedoch, diese Strukturen zu verbessern oder neu zu erfinden.
Unternehmen sollten sich nicht als Familie verstehen. Niclas Luhmann zufolge hat ein Büro Ähnlichkeit mit dem Theater. Im Theater wie im Arbeitsleben müssen Mitarbeitende zwischen formellem und informellem Verhalten und Rollen wechseln und unterscheiden lernen.
Die Kumpel-AG ist stabil, solange die Freundschaften oder Seilschaften es bleiben. In Familienunternehmen ist es darum so notwendig, dass sich Verwandte im Unternehmen nur in ihrer Rolle als Organisationsmitglied verhalten. Das fällt ihnen oftmals schwer.
Funktionierende Organisationen bauen auf klaren Verhältnissen. Emotionen sind wichtig, dienen der Motivation und Begeisterung im individuellen Berufsleben.
AGILITÄT, RESILIENZ UND PROAKTIVITÄT
Agilität in Unternehmen bedeutet die Fähigkeit, sich beweglich und rasch an sich ändernde Bedingungen anzupassen. In einer Definition der Gartner Research Group wird Agilität als Reagieren auf Veränderungen in der Umwelt definiert. Dabei handelt es sich um ein reaktives Angehen. Sie passt sich also erst an, wenn eine Umweltveränderung bereits vonstatten gegangen ist (Prodoehl). Dann kann es vielleicht zu spät sein. Bei neueren, aktuelleren Definitionen wird vermehrt der Begriff der Proaktivität (Grimm und Tokarski) verwendet. Diese Proaktivität setzt voraus, dass relevante Veränderungen antizipiert werden, damit bereits vor Eintreten der Veränderung angemessen darauf agiert – und nicht erst im Nachhinein reagiert – werden kann. Hier zeigt sich auch die Verbindung von agiler Führung zum Konzept der Resilienz. Eine resiliente Organisation besitzt drei wesentliche Eigenschaften, die sie von einer nicht-resilienten Organisation unterscheidet (McManus et al):
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- Ein größeres Bewusstsein für sich selbst, ihre wichtigsten Stakeholder und das Umfeld, in dem sie ihr Geschäft betreibt.
- Ein größeres Wissen über ihre wichtigsten Schwachstellen und die Auswirkungen, die diese auf die Organisation haben könnten; sowohl negativ als auch positiv.
- Die Fähigkeit, sich an veränderte Situationen mit bestehenden oder innovativen Lösungen anzupassen, um mit unvorhergesehenen Situationen umzugehen.
HUMANE FÜHRUNG UND IHRE FÜHRUNGSKRÄFTE
Führungskräfte müssen nicht zwingend Harmonie herstellen, aber sie sollten Konflikte früh erkennen und zur Lösung führen. Spannungsverhältnisse entstehen oft als Folge der Arbeitsteilung: Unterschiedliche Aufgaben und konkurrierende Interessen. Widerstreitende Interessen produktiv zu machen, ist die hohe Kunst der Führung. Unterstützen Sie Ihre Mitarbeiter durch klare Linien und eindeutige Anweisungen Probleme begreiflich machen, beteiligen Sie Betroffene. Vermeiden schafft Probleme. Führungskräfte sollten eine Atmosphäre des offenen, sachlichen, kontinuierlichen humanen Austauschs schaffen, der alle Beteiligten, Perspektiven und Alternativen mit einschließt.
Die oft gelobte Fehlerkultur ist ein zweischneidiges Schwert. Fehler sind erlaubt, heißt es, aber mach besser keine, denken die Mitarbeitenden im Stillen. Hier wäre ein Grundsatz wider der Angst hilfreich. „Fehler sind willkommen, aber mache ihn nur einmal. Lerne daraus, wie Du ihn nicht wiederholst. Wer mehrfach dieselben Fehler begeht, schadet dem Unternehmen. Niemand darf mit Nachsicht rechnen, wenn er wiederholt teure Fehlentscheidungen getroffen hat.
KOMMUNIKATION
Direkte Kommunikation ist gut, notwendig wie heikel, wenn das Fingerspitzengefühl des Gegenübers fehlt. Das direkte Gespräch gilt in vielen Unternehmen als Königsweg der Kommunikation. Ausnahmen von der Regel sind im professionellen Umfeld statthaft. Neben Regeln sind informelle Verhaltensweisen und Anpassungsbereitschaft nötig, damit Organisationen funktionieren. Unternehmen geben sich gerne eine Fassade. Nach außen wirkt sie als Schutz. Unscharf formulierte Firmenziele, aber eingängig kommuniziert, ersparen oftmals kritische Fragen der Kunden, Stakeholder und Mitarbeitenden.
WEITERE ZIELE DER ORGANISATIONSENTWICKLUNG
Humane Organisation schaffen
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- Hoher Grad an Identifikation und Selbstverwirklichung der Mitarbeitenden
- Erhöhung der Flexibilität (Agilität)
- Veränderungsbereitschaft und Innovation
- Verbesserung der Motivation der Mitarbeitenden
- Etablierung von Selbstverwaltungsstrukturen und Freiheitgrade in der Teamentwicklung
- Prozessoptimierung
LITERATUR
(1) Die Humanisierung der Organisation, Wie man dem Menschen gerecht wird, indem man den Großteil seines Wesens ignoriert, Kai Matthiesen, Judith Muster und Peter Laudenbach, Vahlen 2022
(2) Die lernende Organisation
Grundlagen, Methode, Praxis, Chris Argyris und Donald A. Schön, Schäffer-Poeschel, 2018
(3) Ein Leben mit Spuren, Prof. Karl-Dieter Bodack, info3 Verlag, 2018
(4) Institut für Dreigliederung, www.dreigliederung.de
(5) Resilienz durch Organisationsentwicklung, Forschung und Praxis, Jochen Schellinger, Kim Oliver Tokarski, Ingrid Kissling-Näf, Springer, 2022, https://library.oapen.org/handle/20.500.12657/57039
(6) Kursbuch Strategieentwicklung, Analyse – Planung – Umsetzung, Walter Simon, Springer, 2011
(7) Strategien für turbulente Zeiten, Michael C. Mankins und Mark Gottfredson, Harvard Business Manager, 2022
(8) Strategie-Workshop, In fünf Schritten zur erfolgreichen Unternehmensstrategie, Klaus Haake und Willi Seiler, Springer, 2018
(9) Agilität als Wettbewerbsvorteil: Der Agile Performer Index, Sebastian Olbert, Hans Gerd Prodoehl & Christopher Worley Chapter, Springer, 2018
(10) Luhmann, N., Die Knappheit der Zeit und die Vordringlichkeit des Befristeten. S. 355–384 in: N. Luhmann, V. Tacke & E. Lukas (Hrsg.), Schriften zur Organisation 1: Die Wirklichkeit der Organisation. Springer, 2018
RESÜMEE
Organisationen sind komplexe Gebilde, je nach Unternehmensgröße. Sie bedürfen ständiger Anpassung und Veränderung. Sonst erstarren sie oder Chaos bricht aus. Sie suchen Fehler gerne bei Einzelnen. Klare Rollen und Funktionen sind Grundpfeiler für die Zusammenarbeit und Unternehmenskultur. Führung und Kompetenzentwicklung sind die Garanten für eine positive Weiterentwicklung. Organisationen oder Führungskräfte suchen Fehler eher bei Mitarbeitenden als in der Organisationsstruktur. Die Aufgabe der Führungskräfte ist es in erster Linie Konflikte zu erkennen und die Organisationsstruktur zu verbessern. Ein lernendes Unternehmen ist wettbewerbsfähiger und interessanter für Fachkräfte. Kumpelhafte Umgangsformen können sich sehr schnell negativ auf die Organisationsstrukturen und das Klima auswirken. Fehlerkultur muss ernsthaft gelebt werden. Führung ist ein zentraler Punkt in der Entwicklung, ein eigener Bereich. Kommunikation ist ein zentraler Punkt im Change Management.