Behaust-Sein und Hausen – Ruhmesblatt oder Sterbesakrament?
Eine Rezension zu Kurt E. Beckers „Hausen“- Buch
Behaust-Sein und Hausen
„Behaust-Sein und Hausen“ sind zwei Begriffsvehikel, mit deren Hilfe Kurt E. Becker seine Leser sehr souverän durch die Kulturgeschichte chauffiert. Vielversprechend schon die Definition: „Es ist das Ergebnis eines umfassend schöpferischen und gleichzeitig zerstörerischen Prozesses des Hausens in und an den Wirklichkeiten unserer Welt. Behaust-Sein wird so wiederum selbst zum kulturellen, sozialen, politischen, ökonomischen und ökologischen Element des Wirklichen. Diese Wirkung des Hausens kann auch beschrieben werden als umfängliche, vieldimensionierte Arbeit des Menschen an der Welt mit all ihren vielfältigen Implikationen, positiven wie negativen.“
Ökologie und Ökonomie
Und in der Tat lässt sich auf Grundlage dieser Terminologie die dramatische Dialektik von Ökologie und Ökonomie ebenso erklären, wie das mensch(heit)liche Dilemma des Hausens an sich – als risikobehaftete Notwendigkeit zur Sicherung des individuellen Lebens einerseits, zur Existenzerhaltung der Spezies andererseits. „Hausen“ kann, Becker zufolge, denn auch als „Experiment“ der Natur mit offenem Ausgang beschrieben werden. Gelingen und Scheitern liegen ganz nah beieinander.
Seine absolute Zuspitzung erlebt das Hausen-Dilemma, so der Autor, durch zehn Milliarden hausende Menschen am Ende des Jahrhunderts, alle angetreten mit dem legitimen Anspruch ein Dach über dem Kopf und vier Mauern um sich herum nutzen oder sogar ihr Eigentum nennen zu dürfen. Eine Herausforderung ohnegleichen in einer in sich zerrissenen, von kriegerischen Konflikten und elementaren Nöten geplagten Menschenwelt.
Goethes Faust
Kronzeuge für Beckers Sicht der Welt ist interessanterweise nicht zuletzt Goethes Faust, den er in einer überzeugenden Neuinterpretation der Tragödie als skrupellosen „Immobilientycoon“ beschreibt: Faust der Typus des hausenden Menschen schlechthin. Kann Fausts tragisches Scheitern auch als Menetekel menschlicher Geschicke überhaupt auf diesem Planeten interpretiert werden?
Beckers Textsammlung aus vier Jahrzehnten intellektueller Auseinandersetzung mit dem hausenden Menschen entwirft das Bild einer in sich widersprüchlichen, bis an den Rand der Selbstvernichtung der Art getriebenen Menschheits-Epoche, die nicht von ungefähr als „Anthropozän“ bezeichnet wird. Ob dieses Anthropozän ein Ruhmesblatt oder ein Sterbesakrament für den Menschen werden wird, bleibt abzuwarten.
Rainer Monnet, monnet – Unternehmensentwicklung
Ein mensch(heit)liches Dilemma: Apokalypse inklusive?
Zeige mir, wie du haust, und ich sage dir, wer du bist. Hausen und Behaust-Sein charakterisieren das Wesen des Menschen in seiner Kreatürlichkeit. Als Individuum und im Kollektiv. Im Guten wie im Bösen. In der Natur, mit der Natur und gegen die Natur. Aber auch für, mit und gegen seinesgleichen. Denn als Naturwesen ist der Mensch unberechenbar.
Bis an die Grenze der Selbstzerstörung und darüber hinaus. Kurt E. Beckers Texte aus vier Jahrzehnten loten die Chancen und Risiken mensch(heit)lichen Hausens und Behaust-Seins aus und thematisieren die immer gleichen Fragen unserer Existenz auf dem blauen Planeten Erde. Der Mensch haust nämlich, weil er hausen muss. Über die Zeiten hinweg. Ein wach- und aufrüttelndes Buch!
Dr. Phil. Kurt E. Becker, Journalist, Kommunikationsprofi, Medien- und Executivecoach für Führungskräfte der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens, berät seit 40 Jahren Unternehmen der Bau- und Immobilienbranche. Der Publizist ist Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher zur Frage des Menschseins in unserer Zeit.