In einem anderen Land
Vielleicht ist der Gedanke an ein anderes Land die Frucht eines stillschweigenden Fernwehs, geboren in coronaler Isolation. Oder die Furcht, plötzlich in einem anderen Land aus einem schlechten Traum zu erwachen. Nein!
„Wir werden in einer anderen Welt leben, wenn die Krise vorbei ist. “ schrieb dazu Yuval Noah Harari. Wir sind bereits ein anderes Land und wir werden es immer mehr. Wie ergeht es den Ländern unserer Erde nach dieser Periode? Futuristen und Wahrsager baden sich derzeit in dieser Frage; ein gefundenes Fressen. Wie wird es weitergehen? Was tatsächlich geschehen ist, werden wir erst mit zeitlichem Abstand besser verstehen. Erklärungsversuche und Schönredereien wirken wie pennälerhafte Stotterei. Vorboten kündigen bereits an: Es wird uns an die Substanz und vielen an den Kragen gehen. Auf seelischem Felde ist das bei vielen bereits seit Beginn der Corona Krise der Fall; Stichwort häusliche Gewalt.
Ängste
In unserem bisher gelebten Wertesystem haben sich Verschiebungen und Ausblendungen eingestellt. Ängste, Panik, Existenz-, Gesundheits- und Überlebensfragen haben sich mit Macht in den Vordergrund gedrängt. Andere Werte wurden weggespült oder strandeten an einer einsamen Insel. Darunter Freiheit, Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Bewegungs- und Reisefreiheit, um nur einige zu nennen.
Massive Veränderungen der Volkswirtschaften sind im Gange. Massenarbeitslosigkeit, Rückgang des Konsums, immer höhere Staatsverschuldungen, drohende Insolvenzen, Millionen mehr Menschen werden an Hunger sterben und daneben strahlende Helden in der Politik. Wird es nur kleinere bis mittlere Beben geben oder werden tektonische Verschiebungen in der Wirtschaft unser Zusammenleben komplett verändern?
Verrückungen – In einem anderen Land
Viele Bereiche der Wirtschaft, zum Beispiel der Finanzwirtschaft, haben schon solche abrupten Verrückungen hinnehmen müssen. Ist das Gesundschrumpfen oder Amputieren? An Börsen konnten wir gigantische Kapitalbewegungen beobachten, als sich abzeichnete, welches Ausmaß die Bedrohung durch das Sars-Cov-2 Virus hatte. Es wurden gigantische Abverkäufe getätigt, die in Summe das BIP mehrerer größerer OECD Staaten umfassen. Ansonsten schnurrte die Börse maschinenhaft, bis auf kurzzeitige Unterbrechungen, im Großen und Ganzen weiter wie zuvor.
Wieder einmal haben viele kleine Anleger auf Schlag teils ein Viertel ihres Aktienvermögens verloren.
Ob es Gewinner gibt und wer diese sind, werden wir erst nach ausgiebigen Analysen erkennen können.
Wir lassen uns in Extremsituationen von unseren Ängsten das Diktat machen. Werte, die gestrandet sind, bedürfen großer Anstrengung, um sie wieder an die richtigen Orte zurück zu hieven. Wirtschaft und Politik steckten schon vor Corona in einer heftigen Krise. Nicht umgesetzte Lehren aus vergangenen Krisen rächen sich. Die Fragilität unseres Wirtschaftssystems trat schonungslos zu Tage.
Es ist zu befürchten: Eine zweite virale Attacke wird es kaum verkraften.
Gutes
Es gibt auch gute Seiten. Einige Zeitgenossen sind erwacht. Es wogten Sympathien für Andere, bisher kaum beachtete Berufsgruppen. Forscher und Ärzte in verschiedenen Ländern arbeiteten plötzlich zusammen oder tauschten lebenswichtige Erfahrungen im Umgang mit den Erkrankungen aus. Selbstbesinnung trat ein.
Für seine Werte einstehen, das nennen wir Idealismus. Der ist nun gefragt. Wir benötigen keinen Neustart, den wird es auch nicht geben. Denn die Welt ist kein Computer, den wir nach Belieben rauf- und runterfahren können. Die Parole, das Beste aus allem zu machen, verhallt ohne Wirkung. Wir benötigen neue Ideen und umsetzbare, zukunftsfähige Konzepte. Haltung entwickeln und sich für Werte stark machen, wird weiterhelfen. Das kann nur jeder Einzelne. Das Wirtschaftssystem benötigt neue Sensorien und Gerüste. Und dies zur Unzeit. Die verlorenen oder vergessenen Werte regen wir an, wieder ins Bewusstsein zurück zu holen. Die Unternehmen können mit der Bilanzierung von Werten beginnen. Das wäre ein Anfang zu einer wert- und nachhaltigen Wirtschaft von Morgen.
Hoffentlich in einem besser werdenden anderen Land.