Mäßige Dich!
Ein Selbstgespräch über das gute Leben
Wir brauchen einen neuen und anderen Diskurs über unsere Grundwerte.
Eine Rezension von Rainer Monnet, 2024
Kurt E. Beckers neues Buch kommt mit seinen zeitlos relevanten Thesen zur rechten Zeit. Denn „Mäßigung“, ist eine der vier Kardinaltugenden abendländischen Denkens bereits seit Sokrates.
Sie ist das Zukunftsgebot schlechthin in einer durch Klimawandel, Kriege und Terror vielfältig aus den Fugen geratenen und von den Medien darüber hinaus für Quote und Auflage zusätzlich missbrauchten Welt. Beckers „Selbstgespräch über das gute Leben“, so der Untertitel des Buchs, betrifft uns alle, die wir Mittendrin im Strudel der Irrungen und Wirrungen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft um Orientierung ringen.
Mäßige Dich auf allen Feldern des Lebens
Eine menschheitliche Lösung all der Katastrophen, Krisen und Problemen, in die wir uns hineinmanövriert haben, ist weit und breit nicht in Sicht – nicht zuletzt in unserer Gier nach dem „Allzeit-Alles im Allzeit-Jetzt“, wie Becker den konsumistischen Wohlstandsrausch unserer westlichen Zivilisation trefflich charakterisiert. Im Gegenteil. Sogar traditionelle Bündnisse bröckeln und in quasi allen Gesellschaften der westlichen Hemisphäre zerklüftet ein tiefer Graben konträrer Weltanschauungen die politische Landschaft.
Das reicht bis hinein in unsere familiären Ordnungen. In Anbetracht dessen muss alles auf den Prüfstand einer menschheitlichen raison d’etre, was uns bislang in unserem zivilisierten Leben lieb und wichtig war. Es braucht einen neuen Grundwerte-Diskurs, geleitet von dem Gedanken, dass die Allgemeinen Menschenrechte für alle (!) Menschen gelten müssen, wenn sie ihrer prinzipiellen Legitimation nicht verlustig gehen wollen. Damit einher geht die notwendige Forderung nach Mäßigung im Leben des Individuums und der Spezies in gleichen Maßen.
Denn ein möglichst gleichmäßig verteilter Wohlstand unter Milliarden Menschen ist schon in der Theorie eine Herausforderung gewaltigen Ausmaßes. Es wird auf jeden Fall eine neue Verteilungsbalance und eine Neubewertung der Dinge auch des täglichen Lebens brauchen, um dem Zielhorizont eines für alle guten Lebens eine realistische Dimension zu geben.
Mäßige Dich in der Philosophiegeschichte
Genau diese Fragen thematisiert Becker und nimmt seine Leser dabei mit auf eine erkenntnisreiche Reise – nicht zuletzt durch die Kultur- und Geistesgeschichte unserer zivilisierten Welt – von Goethes maßlosem „Faust“, Freuds und Groddecks Tiefenpsychologie, über die griechische Mythologie und Sisyphos, das Bürokratie-Monster „ESG“ bis hin zum Geist des Internets und einer Neuinterpretation von Friedrich Nietzsches „Übermensch“. Beckers Buch ist eine unbedingt zur Lektüre empfohlene Auseinandersetzung mit unserer, wie er es selbst gerne benennt‚ ‚so und nicht anders gewordenen Wirklichkeit‘ mit all ihren Verwerfungen unterschiedlichster Art.
https://www.lindemanns-web.de/programm/ebooks/599/maessige-dich
Die Rezension über das Buch „Mäßige dich!“ beleuchtet Beckers Perspektiven auf unsere komplexe Gegenwart. Ein Muss für den interessierten Zeitgenossen!
Auszug Wiki
Der von Platon in die Tugendethik eingeführte griechische Ausdruck σωφροσύνη sophrosyne wurde im Lateinischen mit temperantia (und auch moderatio) übersetzt.
Im Deutschen hat sich keine einheitliche Übersetzung von sophrosyne bzw. temperantia herausgebildet, so dass sich verschiedene Namen mit unterschiedlichen Bedeutungen und Konnotationen finden. Die deutsche Sprache hat kein geeignetes Wort, um „auch nur einigermaßen den Kern und den Umfang des Begriffes temperantia widerzuspiegeln“.[1]
Sophrosyne wird im Deutschen direkt unter anderem mit „Besonnenheit“[2], „Mäßigkeit“[3] oder „Beherrschung“[4] übersetzt. Temperantia als Übersetzung von sophrosyne kommt von temperare, dessen erster Sinn sein soll, „aus verschiedenartigen Teilen ein einiges geordnetes Ganzes fügen“ (vergleiche auch englisch temperance).[5]
Dies betont Josef Pieper, um den bejahenden und ganzheitlichen Sinn der Tugend herauszustellen.
Im Deutschen konkurrieren die Ausdrücke „Besonnenheit“ (Olof Gigon), „Beherrschung“ (Nicolai Hartmann), „Selbstbeherrschung“ (Hügli), „Maß“ bzw. „Tugend des Maßes“, „Maßhaltung“ (Arthur F. Utz), „Mäßigkeit“, „Mäßigung“, „Zucht und Maß“ (Josef Pieper) bzw. „Tugend von Zucht und Maß“. Nicolai Hartmann hält durch die Übersetzung mit „Besonnenheit“ die Tugend der sophrosyne „ins falsche Licht gerückt“[6] und zieht den Ausdruck „Beherrschung“ vor. Dieser hat sich aber nicht durchgesetzt.